10 Jahre QUEERmdb – Die 10 besten LGBT-Filme

[JJ] Im schwedischen Queerdrama KÜSS MICH - KYSS MIG treffen sich die beiden frisch gebackenen Stiefschwestern Mia und Frida auf der Verlobungsfeier ihrer Eltern zum ersten Mal. Es ist Liebe auf den zweiten Blick. Mias Zukünftiger und Fridas Freundin können schon mal Umzugskartons packen. KÜSS MICH gehört zu den schönsten Liebesfilmen überhaupt und verwandelt das doch eher problemorientierte Coming-Out- und Trennungs-Thema authentisch und nah in ein befreiendes Selbst-Bekenntnis und vielleicht in ein Bekenntnis füreinander. Die letzte Szene wird mit einem meiner Lieblingssongs der schwedischen Sängerin Robyn unterlegt. Wem hier das Herz nicht aufgeht, der hat keins.

QUEERfaktor: 8

[JJ] Ein abgefahrener Liebesfilm der ganz anderen Art ist OWENS ERSTE LIEBE (Originaltitel: Unconditional). Ein Teenager und ein Finanzhai mit homophobem Selbsthass wandeln hier als ungleiches Paar auf den Pfaden des Wahnsinns, den sie Liebe nennen. Unverständlicherweise hat Regisseur Bryn Higgins hinterher nie wieder etwas Ähnliches gemacht. Dabei ist sein erster Kinofilm an Exzellenz auf so vielen Ebenen nicht zu übertreffen. OWENS ERSTE LIEBE beginnt als lakonisches Sozial- und Familiendrama - bis Liam (Sexy as hell: Harry McEntire) ins Spiel kommt. Eine hyperaktive Koksnase, die den restlichen Film mit seiner überdrehten Art dominiert. Inhaltlich will ich gar nicht weiter spoilern, man sollte die emotionale Achterbahn unvorbereitet "genießen". Es wird übergriffig, auch für den Zuschauer.

QUEERfaktor: 7

[IM] Der beste Film von Filmwunderkind Xavier Dolan verschlägt Tom (Werbebranche) weit raus aufs Land, um seinen Freund Guillaume (tot) bei dessen Beerdigung zu besuchen. Neben viel Mais, Kühen und einer mehrmals von Toms geparktem Auto komplett zugestellten Auffahrt zum Hof gibt es im Großen und Ganzen nur zwei Dinge zu sehen: Agathe (Guillaumes Mutter) und Francis (grobschlächtiger Bruder von Guillaume). Agathe weiß nichts von den sexuellen Präferenzen ihres verstorbenen Sohnes, während Francis dafür sorgen möchte, dass das auch so bleibt - unter anderem. SAG NICHT, WER DU BIST erinnert früh an einen klassischen Thriller, bricht aber oft aus und geht seine eigenen Wege. Der Zuschauer bleibt gespannt, welche neuen Züge sich bei welcher Figur zeigen. Allesamt sind sie hervorragend gespielt. Und nicht zuletzt verleiht Altmeister Gabriel Yared dem Film noch musikalische Höhepunkte.

QUEERfaktor: 6.5

[JJ] CUT SNAKE erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der im australischen Melbourne der 1970er Jahre einen Neuanfang sucht, um die Dämonen der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Ein neuer Job, eine hübsche Verlobte, ein Häuschen. Doch als seine ehemalige Gefängnisliebe ihn aufspürt, wird der Traum vom Glück zum Alptraum. Die niederschwelligen Wünsche kumulieren schließlich in einem emotionalen Finale, wo alle Karten auf den Tisch kommen. CUT SNAKE ist ein furioser Höllentrip auf Messers Schneide - zwischen Anziehen und Abstoßen, Opfer und Täter, Liebe und Hass.

QUEERfaktor: 6

[JJ] Im Diplomfilm SCHAU MICH NICHT SO AN wird die sich anbahnende Liebesbeziehung zwischen den Nachbarinnen Hedi und Iva durch das plötzliche Auftauchen von Ivas Vater gestört. Der bei den QUEERmdb-Leser:innen beliebteste Lesbenfilm 2016 ist nicht perfekt, hier und da treten handwerkliche Mängel zutage, aber im Scheitern liegt sein Gewinn. Uisenma Borchu tut alles, um ihre Gegenspieler:innen, die neue Freundin, ihren Vater, ihren Betthasen, zu provozieren, pinkelt auf offener Straße, stößt den anderen vor den Kopf, verkauft der eigenen Oma in der Mongolei ein blondes Kind als Enkel, benutzt sie wie Schachfiguren: Und nun bitte macht was draus! Das geht schief und läuft verteufelt gut zugleich. Bis es wehtut. Borchu nimmt sich, was sie braucht. Ohne Rücksicht auf Verluste. Als Catrina Stemmer sie in der Dusche des Tanzstudios küssen will, stößt sie sie zurück. Sie ist keine Lesbe. Das hast du wohl nicht verstanden? SCHAU MICH NICHT SO AN ist so spannend wie das Leben selbst.

QUEERfaktor: 5

[BJ] Sebastián Lelios Transgender-Drama EINE FANTASTISCHE FRAU gewann auf der Berlinale 2017 den Teddy-Award und den Silbernen Bären und dreht sich um die transsexuelle Kellnerin Marina, die den Tod ihres Geliebten verkraften muss und von einer Gesangskarriere träumt. Es beginnt als wunderbar leichte Liebesgeschichte, kippt sehr schnell ins Tragische und nimmt dann ihren traurigen und schockierend unglaublichen und doch auch glaubhaft erzählten Verlauf. Tod, große Hilflosigkeit, massive Anfeindungen von allen Seiten, Vorurteile, die unterschwellig wohl immer da waren, werden jetzt plötzlich deutlich ausgesprochen. Keine Liebe. Fast nirgends. Stattdessen offener Hass. Plötzlich wird das gerade noch schöne Leben ein ständiger Kampf, Abwehr und eigentlich unakzeptabler Kompromiss zum Schutz der eigenen verlorenen Liebe und der Trauer, die beim ständigen Widerstand und dem täglichen energisch vorgespielten Schein von Selbstbewusstsein und Souveränität keinen Raum bekommt. Der Film wird bleiben. Er ist ein Meisterwerk.

QUEERfaktor: 7

[JJ] THELMA ist ein norwegisches, deutsch synchronisiertes Mysterydrama von Joachim Trier (DER SCHLIMMSTE MENSCH DER WELT (2021)*), in dem die gleichnamige, jugendliche Protagonistin von einem inneren Konflikt zwischen lesbischer Begierde und christlichen Überzeugungen zerrissen wird. Mit plötzlichen Flashbacks kommt außerdem ein verschüttetes Familiengeheimnis an die Oberfläche. Joachim Trier macht alles richtig und ist nur ein paar Gänsehautmomente davon entfernt, perfektes Kino abzuliefern. Die Parabel auf unbewusste und unterdrückte Sehnsüchte ist wunderschön inszeniert, grandios bis in die Nebenrollen hinein besetzt und wartet mit einer frischen und klugen Handlung auf. Kaya Wilkins möchte man ständig beschützen und in den Arm nehmen, so überzeugend spielt sie die Tragik und die Zerbrechlichkeit ihrer Figur.

QUEERfaktor: 8

[JJ] Camille Vidal-Naquets Debütfilm SAUVAGE wirft sich in die Spuren eines jungen Strichers in Straßburg auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit. Die findet man hier nur selten. SAUVAGE ist eine explizite, fordernde Tour de Force, authentisch bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus, zwischen Gewalt und Zärtlichkeit, Sehnsucht und Leere. Die Kameraarbeit von Jacques Girault fängt die düsteren und oft trostlosen Straßen von Straßburg ein, während sie gleichzeitig die intime und persönliche Erfahrung von Leo einfängt. Das Psychodrama wird vor allem durch die bemerkenswerte schauspielerische Leistung des Newcomers Félix Maritaud (JONAS – VERGISS MICH NICHT) als Leo getragen. Für mancheinen mag SAUVAGE eine Zumutung sein, ich finde, es ist ein Geschenk.

QUEERfaktor: 9

[JJ] ALS WIR TANZTEN entstand unter widrigen Bedingungen in Georgien, einem Land, in dem Homosexualität zwar seit 2000 nicht mehr illegal ist, in dem aber eine ausgeprägte staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung herrscht. Regisseur und Drehbuchautor Levan Akin musste eine andere Geschichte vorgeben, um an den verschiedenen Orten in der Hauptstadt Tiflis überhaupt drehen zu können. Der Film erzählt die Geschichte von Merab (Levan Gelbakhiani - macht gute LGBT-Insta-Stories über seine Heimat), einem talentierten Tänzer, der sich in der von Traditionen und Vorurteilen geprägten Welt des georgischen Nationalballetts behaupten muss, während er gleichzeitig seine eigene sexuelle Identität entdeckt. Die Chemie zwischen den Schauspieler:innen ist stark, insbesondere in den Szenen, in denen Merab und sein Tanzpartner Irakli (Bachi Valishvili) eine komplizierte Beziehung entwickeln. ALS WIR TANZTEN ist ein wichtiger Film, ein Meilenstein des Queer Cinema und hoffentlich ein Meilenstein für Georgien.

QUEERfaktor: 8

[JJ] GROSSE FREIHEIT erzählt die Leidensgeschichte von Hans Hoffmann (Franz Rogowski), der wegen seiner Homosexualität von den Nazis ins Konzentrationslager und von den nachkriegsdeutschen Behörden immer wieder ins Gefängnis weggesperrt wurde. Die vorletzte Szene in der Schwulenbar zerstört ein wenig, was Sebastian Meise und Thomas Reider bis dahin mühevoll und aufrichtig aufgebaut haben. Das Hineinfühlen, das Mitleid für das bedauerliche Schicksal, den "Falschen" zu lieben. Dann kommt der hässliche, viehische Sex, eine Darkroomszene wie ein einziger Amateur-Porno im Scheinwerferlicht. Ich hab da einen ausgestreckten Mittelfinger gesehen und fand es großartig. Fast schade, dass Protagonist Hoffmann danach - quasi abgestoßen - daraus entfernt wird und der Schlussakkord wieder der Liebe gewidmet ist. Ich habe nicht damit gerechnet, dass GROSSE FREIHEIT so gut ist. Es gab in diesem Jahr nichts Besseres.

QUEERfaktor: 8

[JJ] Auch von EIN FREMDER AM STRAND wurde ich positiv überrascht. Ich bin kein Anime-Fan, aber Kazé hatte wirklich ein Händchen für gute Yaoi-Verfilmungen, die sie synchronisiert in Deutschland veröffentlichten. Dabei hätte ich EIN FREMDER AM STRAND als Realfilm wahrscheinlich schrecklich und hölzern gefunden. Am Anime stört mich nur der Kitsch im Soundtrack hier und da. Mich stört nicht, dass ich manche Figur nicht einordnen, ihre Motive und Verhaltensweisen nicht verstehen und nachvollziehen kann. Das ist ein japanischer Trickfilm, die sind eben seltsam. Abgesehen davon ist die Liebesgeschichte zwischen einem heimlich schwulen Studenten und einem vermeintlichen Hetero universell und ereignet sich genau so und jeden Tag in jedem homophoben Umfeld dieser Welt. Da ändert eine Ehe für alle nichts, die es auch in Japan geben wird. Der Selbsthass und die Unterdrückung von Gefühlen kommen von den Eltern und den Mitschülern, weniger von Gesetzen. Und dann verliebt man sich und es ist nicht das schönste, sondern das schrecklichste Gefühl.

QUEERfaktor: 7

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