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Promis Unter Palmen abgesetzt: Die Doppelmoral der Befürworter

Promis Unter Palmen abgesetzt: Die Doppelmoral der Befürworter

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Sat.1 hat mit Promis Unter Palmen 2021 von Beginn an alles falsch gemacht. Nun nimmt der Sender den Tod des Reality-Stars Willi Herren zum Anlass, das Trash-Format endgültig einzustellen. "Aus Pietätsgründen wird SAT.1 die verbleibenden Folgen #PromisunterPalmen nicht zeigen.", tweetete man gestern. Die Mehrheit der Zuschauer lehnen diese Entscheidung ab. Viele Meinungsmacher finden die Absetzung richtig. Warum sie damit eine Botschaft aussenden, die die Würde des Verstorbenen angreift, und verkennen, dass es Sat.1 dabei bestimmt nicht um ebendiese geht.

Johannes Jarchow | 21.4.2021

Die zentrale Message dieser Absetzung ist keine der Pietät, sondern jene: Willi Herren hat sich unwürdig verhalten, das können wir nicht zeigen. Analog müsste man Filme verstorbener Schauspieler verbieten, bei denen sie, in wessen Augen auch immer, versagt haben. Für so etwas gibt es Preise, die nichts anderes tun, als diesen Stars die Leistung abzuerkennen. Es gibt aber keinen objektiven Maßstab für Schauspieltalent - wie in allen künstlerischen Tätigkeiten. Ebensowenig dafür, was eigentlich ein gutes oder schlechtes Leben, was Versagen oder Erfolg, was gutes oder schlechtes Benehmen, was geschmacklos und peinlich ist.

Sich für 100.000 Euro Siegprämie den Arsch aufzureißen und dabei in Kauf zu nehmen, den eigenen Ruf zu schädigen, weil man lästert, intrigiert, lügt oder komische Kostüme tragen muss, ist ein Motiv, welches man respektieren sollte. Jeder Mensch prostituiert sich auf seine Weise - im Rahmen seiner Standards. Für 100.000 Euro würden die meisten Menschen Dinge tun, die verwerflich sind und selbst eigene Standards überschreiten. Auch der Drang nach Fame, Glamour und Reichweite ist in unserer narzisstischen Gesellschaft allgegenwärtig. Dafür narzisstisch zu sein, kann niemand etwas. Das Verhalten, das daraus resultiert, ist mitunter skuril, aber unterhaltsam. Eine Welt ohne Narzissten wäre so langweilig. Fernsehen ohne Narzissten undenkbar.

Willi Herrens Biografie ist durchzogen von vermeintlichen Lächerlichkeiten, für die er ein Leben lang Häme kassiert hat. Das harmloseste Beispiel, um nicht pietätslos zu sein: Er hat in der Lindenstraße mitgespielt. Das finden natürlich nur die allerwenigsten Menschen lächerlich, aber die Skala ist nach oben hin natürlich offen. Die nächste Stufe wäre vielleicht: Er hat Schlager gesungen. Das verleitet schon etwas mehr dazu, Menschen, die in dieser Kategorie zuhause sind, abzuwerten. Medienwächter, die Produktion und der Sender unterstellen, Promis Unter Palmen würde diese Skala sprengen und wäre für den Schauspieler und Ballermann-Sänger einfach zu peinlich, um das jetzt nach seinem Tod noch zeigen zu können. Genauer gesagt: Das was Herren dort abgeliefert hat. Das ist eine Verächtlichmachung seiner Leistung, die Absetzung wie eine posthume Goldene Himbeere.

Der Maßtstab dieser attestierten Fehlleistung ist aber eben enorm subjektiv. Selbst wenn Umfragen ergeben würden, ja, was in Reality-Trash-Formaten passiert, ist in der Regel rufschädigend für die "vorgeführten" Teilnehmer, ergibt sich daraus keine Rechtfertigung, die Ausstrahlungen zu zensieren oder gar ganz aufzugeben. Es sei denn, der Teilnehmer forderte dies wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein. Willi Herren hat an zahlreichen dieser Shows teilgenommen und nie eingefordert, seine Auftritte herauszuschneiden oder ganze Folgen der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Es wird vollkommen ausgeblendet, dass die Influencer und Reality-Sternchen gefeiert werden, auch für vermeintliche Entgleisungen. Und ganz im Ernst, was für Entgleisungen sollen das bitte schön sein, die wir in den nächsten Folgen gesehen hätten?

Willi Herren war der einzige, der sich im Homophobie-Skandal des Prince Shameless Marcus Prinz von Anhalt in der Auftaktfolge von Promis unter Palmen, richtig verhalten hat. Während das Produktionsteam offensichtlich keine Notwendigkeit sah, den über eine Minderheit ausgekübelten Hass zu sanktionieren, hat Herren als einziger der Teilnehmer klare Ansagen gemacht und Marcus den Mund verboten - das sei ein No-Go. Kate Merlan hat ihn mit Verzögerung unterstützt, allen anderen war es egal. Giulia Siegel hat dem angetrunkenen Homohasser noch den Nacken gekrault, er solle sich doch beruhigen, Melanie Müller versteht ihren Kumpel Willi nicht. Der Marcus ist doch bloß besoffen. Bis zur Ausstrahlung war Sat.1 auf Seiten der ignoranten Mehrheit. Man würde das alles mit Schnitt und Kommentar und Nachbesprechung politisch korrekt einordnen, dann wär die Sache erledigt. Ist zum Glück nicht aufgegangen. Doch zurück zum Thema.

Sat.1 hatte mit den ersten beiden Folgen enormen Erfolg. In der werberelavanten Zielgruppe hatte der Bällchen-Sender die Marktführerschaft inne. Keine andere Sendung hatte an diesem Tag mehr junge Zuschauer. Mit der Absetzung werden auch jene Zuschauer verurteilt als arme Würste, die so großen Spaß an der "Verspottung" der Stars haben. Wer da nun wen verspottet, ist die große Frage. Ich verspotte den Absetzungs-Reflex für seine eingeengte Sichtweise, die so selbstherrlich eigene Standards als allgemeine präsentiert. Am Ende muss sich nur einer schämen: der Sender.

Ich hätte definitiv Spaß mit der nächsten Folge in der ursprünglichen Schnittfassung. Mea Culpa.

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