
LGBTVscan 2024: LGBT-Sichtbarkeit im Fernsehen erstmalig wieder rückläufig
In den vergangenen Jahren nahm die Sichtbarkeit queerer Menschen im deutschen Fernsehen kontinuierlich zu und folgte einem klaren Aufwärtstrend, der nun überraschend gestoppt wurde. Die Queerfilmquote stagnierte 2024 auf einem niedrigen Niveau, das nur etwa halb so hoch war wie im Kino- und Heimkino-Segment. Während bei den DVD-/Blu-Ray-Veröffentlichungen ein neuer Höchstwert erreicht wurde, blieb die Präsenz von LGBT-Inhalten bei den 23 reichweitenstärksten TV-Sendern nicht nur weiterhin unterrepräsentiert – sie ging sogar erstmals zurück. Besonders deutlich bei RBB und arte.
Johannes Jarchow | 4. April 2025
2024 wurden im linearen Fernsehen über 15.000 Filme und Serienepisoden mit einer Laufzeit von mindestens 70 Minuten ausgestrahlt, etwas weniger als 2023 (-2,1 %). Von diesen hatten 740 mindestens eine für die Handlung relevante LGBT-Figur (-2,6 %). Damit beträgt die Queerfilmquote 4,9 % (-0,04 %). Im Vergleich zu Veröffentlichungen im Kino (10,4 %, -0,6 %), auf DVD/Blu-Ray (9,3 %, +2,5 %), bei Netflix (8,9 %, +2,2 %) und Amazon Prime (8,2 %, -0,8 %) blieb das deutsche Fernsehen das mit Abstand am wenigsten diverse Langfilm-Medium.
Dabei gibt es weiterhin ein großes Gefälle zwischen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Privatsendern. In den ersten, zweiten und dritten Programmen hatten 2024 knapp 540 Dokumentar- und Spielfilme queere Themen. Auffällig ist der stark gesunkene Anteil beim RBB (-34 %). Schlusslicht war der Norddeutsche Rundfunk, der in absoluten Zahlen hinter vier Privatsendern lag.

Im Privatfernsehen waren etwas über 200 Filme queer. Die meisten von ihnen liefen erneut bei sixx und Tele 5, wobei letzterer seinen LGBT-Anteil deutlich reduzierte (-30,6 %). SuperRTL zeigte mehr als doppelt so viele Queerfilme* wie 2023. Pro7 MAXX und RTL blieben mit Ausnahme von 2 bzw. 5 Spielfilmen heteronormativ.

Weil die untersuchten TV-Sender Filme und Serien in Spielfilmlänge in ihren Programmen unterschiedlich gewichten und die absoluten Zahlen deshalb schwer zu vergleichen sind, haben wir in einem zufällig ausgewählten Monat zusätzlich den LGBT-Anteil innerhalb der Sender ermittelt. Tele 5 und MDR Fernsehen zeigten im November 2024 die meisten Filme, Pro7 MAXX und VOX die wenigsten. Der Frauensender sixx strahlte in diesem Zeitraum 21 Filme aus, von denen in 5 eine relevante queere Figur vorkam. Damit erreichte er den mit großem Abstand höchsten LGBT-Anteil. Bei Kabel Eins war nur einer von 74 Filmen queer. Die zur gleichen Senderfamilie gehörenden Kanäle ProSieben, Sat.1 und Pro7 MAXX sowie RTL, SuperRTL und VOX zeigten im November keinen einzigen Queerfilm.

Das Phänomen, dass LGBT-Inhalte besonders in der wichtigsten Sendezeit, der sogenannte Primetime von 20:15 Uhr bis 22:00 Uhr, so gut wie keine Rolle spielen, hat 2024 noch zugenommen, wenn auch nur leicht. Im Vergleich zum Vorjahr ging die Queerfilmquote im Slot mit der höchsten Reichweite um 0,03 % auf 0,89 % zurück. Beim Hauptstadtsender RBB kam es zu einem dramatischen Einbruch (-73,3 %). Das Erste und das ZDF haben dagegen ihre Primetime diverser gestaltet als 2023. NDR und HR zeigten im Anschluss an die Tagesschau keinen Film mit einer relevanten LGBT-Figur.
Von allen linear ausgestrahlten Queerfilmen liefen 18,1 % in der Hauptsendezeit (-0,5 %). Bei Filmen mit einer LGBT-Hauptthematik war der Anteil nur 9,1 % (-5,5 %). Es gab im ganzen Jahr drei TV-Premieren von LGBT-Filmen in der Primetime.

In dem Maße, in dem es beim gebührenfinanzierten Rundfunk einen Rückgang des LGBT-Anteils in der Primetime gab, haben die Privatsender insgesamt zugelegt. Sat.1 verdoppelte die Anzahl seiner Queerfilme, Tele 5 hingegen reduzierte sie. Pro7 MAXX war wie auch schon 2023 der einzige Sender ohne einen Queerfilm in der Primetime.

Im November 2024 hatten nur neun der untersuchten 23 TV-Sender Queerfilme in der Primetime. Im Verhältnis zur Anzahl aller ausgestrahlten Filme im eigenen Programm hatten sixx, ZDFneo und das ZDF den höchsten LGBT-Anteil.

LGBT-Protagonist:innen kamen 2024 in 110 Spielfilmen und Dokumentationen vor. Der Anteil an allen ausgestrahlten Filmen betrug 0,7 % und lag minimal unter den Ergebnissen von 2022 und 2023. Die meisten LGBT-Filme liefen bei RBB, arte und BR. Den stärksten Rückgang verzeichnete arte (-50,0 %), gefolgt von der ARD (-38,4 %). Im ZDF, 2024 erneut der Fernsehsender mit den meisten Zuschauern, nahm die Anzahl der Filme mit einer LGBT-Hauptthematik um 60,0 % zu. 2023 hatte die ARD doppelt so viele LGBT-Filme im Programm wie das ZDF. 2024 war die Anzahl identisch. 3sat, für dessen Erhalt im Oktober über 100.000 Künstler:innen und Zuschauer:innen eine Petition unterzeichneten, legte in dieser Kategorie ebenfalls deutlich zu.

Wie auch 2023 hatten fünf der untersuchten privaten Fernsehsender 2024 keinen Film mit einer LGBT-Hauptthematik in ihren Programmen. RTL2 und VOX kamen neu hinzu, während Tele 5 und Pro7 MAXX nicht mehr zu dieser Gruppe gehörten. SuperRTL verdreifachte die Anzahl der LGBT-Produktionen und löste damit sixx an der Spitze der queersten Sender ab.

Im November hatte kein Privatsender einen Film mit einer LGBT-Hauptthematik im Programm. Auch ARD und ZDF sowie BR, SWR und 3sat zeigten keine LGBT-Produktion mit einer Laufzeit von mindestens 70 Minuten. MDR Fernsehen strahlte in diesem Monat die meisten LGBT-Filme aus, die auch den höchsten Anteil am eigenen Film-Programm hatten.

Der Großteil der ausgestrahlten LGBT-Produktionen bestand aus Wiederholungen (76,4 %). Rosa von Praunheims Biopic REX GILDO - DER LETZTE TANZ wurde 2024 von den Dritten und 3sat insgesamt siebenmal gezeigt. Nur 26 Filme liefen erstmals im Fernsehen, einer davon bei einem privaten TV-Sender (SuperRTL). 2023 waren die Zahlen identisch – mit dem Unterschied, dass es im Vorjahr eine deutliche Steigerung im Vergleich zu 2022 gab. 11 der 26 Premieren (42,3 %) liefen im Rahmen der Filmreihen RBB Queer (5), BR Queer (5) und WDR Queer (1). In die Primetime schafften es gerade einmal drei LGBT-Filme, zwei von ZDF, einer von der ARD. Die Mehrheit der untersuchten Fernsehsender verzichtete auf Erstausstrahlungen mit einer queeren Hauptthematik.

Wie in den Jahren zuvor waren die öffentlich-rechtlichen Sender deutlich diverser als die privaten. Bei Filmen mit mindestens einer relevanten LGBT-Figur verschob sich das Verhältnis leicht zugunsten des gebührenfinanzierten Fernsehens. In allen anderen Kategorien holte das Privatfernsehen auf, am stärksten in der Primetime (+ 6,8 %).

Nach zwei Jahren Zuwachs stagnierte 2024 der LGBT-Anteil im deutschen Fernsehen bei den Langfilmen. Er blieb weiterhin signifikant hinter allen anderen Veröffentlichungsformen zurück. Besonders die Privatsender zogen die Queerfilmquote nach unten, kompensierten aber den Rückgang bei den Öffentlich-Rechtlichen. sixx legte in allen Kategorien – ausgenommen bei Filmen mit einer LGBT-Hauptthematik – zu und bleibt insgesamt der queerste Privatsender Deutschlands. Im Vergleich zu 2023 reduzierte der RBB seine Diversität am stärksten, das ZDF erhöhte sie am deutlichsten.
Die Verbreitung queerer Inhalte im deutschen Fernsehen folgt seit Jahren einem bekannten Muster, das sich auch 2024 fortgesetzt hat: In der Sendezeit mit den meisten Zuschauer:innen sind sie kaum präsent, stattdessen werden sie überwiegend ins Nacht- oder Nachmittagsprogramm verbannt. Diese systematische Randplatzierung und Verdrängung trägt zur Marginalisierung von queeren Menschen bei und verringert ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit. In Zeiten zunehmender Trans- und Homofeindlichkeit ist dies Teil des Problems.
© 2024 QUEERmdb/ Johannes Jarchow
* "Queerfilme" bezeichnet in dieser Studie die Kategorie von Filmen und Serienepisoden ab einer Laufzeit von 70 Minuten mit mindestens einer für die Handlung relevanten LGBT-Figur, deren sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität explizit thematisiert und nicht nur über Stereotype erkennbar ist. In der Kategorie "LGBT-Filme" steht die LGBT-Thematik im Fokus.